Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) und Ehrenvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, löst Natalie Pawlik (SPD) im Amt ab. Bereits von 2018 bis 2022 war Fabritius in gleicher Funktion tätig und gilt in seinem Fachgebiet als ausgewiesener Experte.
Er kündigte an, zentrale Entscheidungen auf den Prüfstand zu stellen und neue Impulse setzen zu wollen. Neben Spät- und Aussiedlern sowie nationalen Minderheiten sollen künftig auch die Belange deutscher Heimatvertriebener und deutscher Minderheiten im Ausland stärker berücksichtigt werden. Angesichts aktueller Herausforderungen brauche es „neue, zeitgemäße Antworten“, so Fabritius. Rückenwind erhofft er sich von der neuen schwarz-roten Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) – einer Konstellation, die er als gute Grundlage für seine Pläne sieht.
Das Interview mit Dr. Bernd Fabritius für das Rumänisch-Deutsche Forum für bilaterale Kooperation führte der Journalist Robert Schwartz.
Robert Schwartz: Herr Bernd Fabritius, bevor wir über Ihr neues Amt in der neuen Bundesregierung sprechen - Sie sind Beauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, ein Amt, das Sie schon einmal, zwischen 2018-2022, innehatten: Wie bewerten Sie den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Rumänien vom vergangenen Sonntag, dem 4. Mai 2025?
Bernd Fabritius: Leider als sehr besorgniserregend. Schonbei der ersten Wahl vom November 2024, die vom rumänischen Verfassungsgericht wegen schwerwiegender Unregelmäßigkeiten annulliert wurde, war sehr auffällig, dass ein vorher völlig unbekannter Kandidat aus dem rechtsextremen Eck über eine Internet-Einflussnahme innerhalb weniger Wochen aus völliger Unbekanntheit zum Wahlsieger hochmanipuliert wurde. Dass jetzt bei der Wahlwiederholung, bei schlechter Wahlbeteiligung, ein rechtsextremer Populist mit Abstand auf dem ersten Platz gelandet ist, bewerte ich ebenfalls als besorgniserregend, für Rumänien und für ganz Europa. Der Kandidat der nationalistisch-populistischen und Russland-affinen AUR-Bewegung erreichte erschreckende 40,96 Prozent, erst mit Abstand gefolgt von dem pro-europäischen und fortschrittlich-demokratischen Kandidaten Nicușor Dan mit knapp 21 Prozentfür Platz 2 in der Stichwahl. Das zeigt dringenden Handlungsbedarf und ein Zusammenwirken aller demokratischen Kräfte auf, damit in einem zweiten Wahlgang doch noch der demokratisch und pro-europäisch orientierte Kandidat dieses höchste Amt in dem wohl geostrategisch wichtigsten Land in dieser Region erringt. Die erste Zeile der rumänischen Nationalhymne „Wach auf, Rumäne!“ erlangt so eine ganz neue Bedeutung für die Stichwahl in zwei Wochen.
Wie prägt Ihre persönliche Geschichte Ihre Arbeit als Bundesbeauftragter für nationale Minderheiten und Aussiedlerfragen?
Meine persönliche Geschichte ist eng mit meiner Arbeit in diesem Amt verbunden – sie lässt sich davon kaum trennen. Auch meiner Partei (CSU– Anm. d. Red.) war es wichtig, jemanden zu nominieren, der authentisch weiß, worum es in diesem Bereich geht. Ich habe den ersten Teil meines Lebens als Angehöriger einer nationalen Minderheit in einem ehemaligen Ostblockstaat – in Rumänien – verbracht. Meine Kindheit und Jugend innerhalb der deutschen Gemeinschaft dort prägen mich bis heute.
Gleichzeitig habe ich die Erfahrung gemacht, in Deutschland neu anzukommen und mich zu integrieren. Diese doppelte Perspektive ist in meiner jetzigen Funktion von großem Wert. Hinzu kommt meine langjährige Erfahrung im Umgang mit der rumänischen Diaspora in Deutschland, die heute die größte ausländische Gemeinschaft im Land ist – allein in Bayern leben etwa eine Viertelmillion rumänische Staatsangehörige. All das hilft mir, die Chancen multiethnischer Gesellschaften zu erkennen und sie auch im europäischen Kontext produktiv zu nutzen.
Was sind die zentralen Aufgaben Ihres Amtes – und warum sind diese Themen im heutigen Europa noch relevant?
Mein Amt umfasst drei zentrale Aufgabenfelder, die alle eng miteinander verknüpft sind.
Erstens bin ich Ansprechpartner für Spätaussiedler und Vertriebene. Allein fünf Millionen Menschen zählen zu den Spätaussiedlern – dabei sind nur die mitgezählt, die selbst mit Aufnahmebescheid eingereist sind, nicht ihre hier geborenen Kinder. Hier geht es darum, kulturelle Identität zu bewahren und Integration als Bereicherung zu fördern.
Auch die rund 15 Millionen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg gehören dazu. Ihre Verbundenheit mit den Herkunftsregionen besteht oft über Generationen hinweg. Viele dieser Gruppen haben sich früh für ein vereintes Europa engagiert. Ihre Perspektive fließt bis heute in unsere bilateralen Beziehungen ein – etwa zu Nachbarstaaten mit deutscher Siedlungsgeschichte.
Der zweite Bereich betrifft die nationalen Minderheiten in Deutschland: Sorben, Friesen, Dänen, die autochthonen Sinti und Roma sowie die Sprechergruppe Niederdeutsch. Mein Ziel ist es, ihre kulturelle Identität zu bewahren und gezielt zu fördern.
Der dritte Aufgabenbereich umfasst die deutschen Minderheiten im Ausland – insbesondere in Mittelosteuropa und Zentralasien. Ich spreche hier von „Heimatverbliebenen“. Die Bundesregierung sieht sich ihnen gegenüber in der Verantwortung, da sie bis heute unter den historischen Folgen von Krieg, Vertreibung und Diskriminierung leiden. In einigen Ländern – zum Beispiel in Polen – bestehen weiterhin Vorurteile, die tief in der Geschichte verwurzelt sind. Umso wichtiger ist es, ihre Lebensbedingungen konkret zu verbessern.
Wie gelingt die Integration von Spätaussiedlern in Deutschland? Und was lässt sich daraus für die allgemeine Integrationspolitik ableiten?
Die Integration der Spätaussiedler verläuft in der Regel erstaunlich gut – oft besser, als es öffentlich wahrgenommen wird. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen kommen diese Menschen nicht als Schutzsuchende oder Geflüchtete, sondern mit einem starken kulturellen Bezug zu Deutschland. Sie wollen ihre Identität hier weiterleben – das ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Integration.
Zum anderen bringen sie meist gute Deutschkenntnisse mit, da Sprachkenntnisse sogar Voraussetzung für die Aufnahme sind. Anders als bei vielen anderen Zuwanderungsgruppen ist die Sprachkompetenz von Beginn an vorhanden.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass viele bereits Verwandte in Deutschland haben. Dadurch bestehen familiäre und soziale Netzwerke, die das Ankommen deutlich erleichtern. Deshalb spreche ich lieber von „Wiederbeheimatung“ als von Integration im klassischen Sinne.
Natürlich gibt es auch Herausforderungen – beispielsweise in der politischen Bildung. Viele Spätaussiedler bringen wenig Erfahrung mit demokratischen Strukturen mit und sind damit anfälliger für gezielte Desinformation. Doch insgesamt ist die Integration sehr erfolgreich.
Für die allgemeine Integrationspolitik zeigt sich: Es ist essenziell, Zugehörigkeit zu ermöglichen, ohne Assimilation zu verlangen. Menschen sollen ihre kulturelle Identität bewahren dürfen und sich dennoch als Teil unserer Gesellschaft fühlen. Das ist das richtige Signal.
Wie arbeiten Sie mit europäischen Partnern zusammen, um den Minderheitenschutz auch über Landesgrenzen hinweg zu stärken?
Die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern ist überwiegend konstruktiv – es gibt aber auch Ausnahmen. Schwierig wird es, wenn Staaten Minderheitenthemen innenpolitisch instrumentalisieren. Das war zum Beispiel unter der PiS-Regierung in Polen der Fall.
Unser Grundsatz lautet: Loyale Minderheiten, die sich mit dem Staat, in dem sie leben, identifizieren, können eine große Bereicherung sein – vorausgesetzt, der Staat erkennt und unterstützt sie entsprechend. Separatismus hilft dagegen weder den Minderheiten noch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Ein sehr positives Beispiel ist Rumänien: Dort ist die deutsche Minderheit hervorragend integriert. Sie hat sogar denStaatspräsidenten gestellt. Das zeigt, was eine weitsichtige Minderheitenpolitik bewirken kann.
Deutschland hat vier anerkannte nationale Minderheiten, Rumänien sogar 19. Was lässt sich daraus lernen – auch mit Blick auf Gruppen wie die polnischstämmige Gemeinschaft im Ruhrgebiet?
Vielen Dank für diese wichtige Frage. Die Definition nationaler Minderheiten ist europaweit nicht einheitlich geregelt – weder durch das Rahmenübereinkommen des Europarats noch durch die Sprachencharta. Es liegt im Ermessen jedes Nationalstaates, wer als nationale Minderheit anerkannt wird.
In Deutschland hat der Bundestag eine klare Definition beschlossen: Nationale Minderheiten sind Gruppen, die traditionell und dauerhaft auf deutschem Staatsgebiet leben, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sich aber ethnisch, sprachlich oder kulturell nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft verstehen.
Zuwanderergruppen – auch wenn sie seit über 100 Jahren hier leben, wie etwa die polnischstämmige Bevölkerung im Ruhrgebiet – zählen laut dieser Definition nicht zu den autochthonen Minderheiten. Dennoch ist die polnische Gemeinschaft in Deutschland, die sich selbst als „Polonia“ bezeichnet, durch den deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag faktisch einer nationalen Minderheit gleichgestellt und genießt entsprechende Rechte.
Wenn also darüber hinaus Minderheitenschutz eingefordert wird, handelt es sich meist um politische Rhetorik, nicht um eine reale Schutzlücke. Der Schutz besteht bereits. Deutschland und Rumänien zeigen in diesem Bereich, wie man Minderheitenrechte ernst nimmt – und zwar ohne sie für politische Zwecke zu missbrauchen.
Was wünschen Sie sich persönlich für die kommenden Jahre Ihrer Amtszeit?
An erster Stelle wünsche ich mir Gesundheit, um den Herausforderungen, die dieses Amt mit sich bringt, gerecht werden zu können. Ebenso wünsche ich mir die notwendige politische Unterstützung – eine Unterstützung, derer ich mich bereits vergewissert habe und von der ich überzeugt bin, dass sie gegeben ist.
Mir ist wichtig, dass die Weichen, die in den letzten drei Jahren aus meiner Sicht falsch gestellt wurden, korrigiert werden, damit wieder eine positive und nachhaltige Entwicklung möglich wird. Besonders im Bereich der Kulturarbeit für Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler muss wieder stärker an den gesetzlichen Auftrag angeknüpft werden.
Ich habe einmal gesagt: Jeder Kollege in der Politik sollte sich einmal im Monat den § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) durchlesen – einfach, um sich vor Augen zuführen, worin unsere Aufgabe besteht. Dort steht, dass die Kultur der Heimatgebiete und der Vertriebenen erstens im Bewusstsein des gesamten deutschen Volkes, zweitens innerhalb der Vertriebenen und der deutschen Minderheiten selbst – also im direkten Personenkreis – und drittens, und das ist besonders wichtig, in den Herkunftsgebieten verankert, weiterentwickelt und gefördert werden muss. All das dient dazu, diesen kulturellen Schatz für kommende Generationen zu bewahren. Das ist eine Generationenaufgabe.
Wenn wir diese Aufgabe nicht erfüllen, geht ein wertvoller Teil unserer gemeinsamen Geschichte und Identität verloren.
Dann wünsche ich Ihnen, dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen und Sie ein glückliches Händchen in Ihrer Amtszeit haben. Vielen Dank für das Gespräch.
Ich danke Ihnen.